In Amorbach trieb sich zu dieser Zeit unser oben genannter Philosoph als aufmerksamer Junge auf den Gassen herum. Er hielt in seinem Tagebuch die Eindrücke von der Stadt, ihren Bewohnern und von den wundervollen Wanderungen in die Umgebung fest: Amorbach blieb noch dem erwachsenen und vielgereisten Th. W. Adorno „das Urbild aller Städtchen“, der “Traum einer von Zwecken nicht entstellten Welt“.
Von Künstlern erwarten wir vielleicht auch dies: dass sie uns den Traum einer nicht entfremdeten Welt in ihren Werken sichtbar und sinnlich erfahrbar machen. Uns den Verlust ebenso vor Augen führen, wie ihre persönlichen Visionen.
Mir gefällt es, wenn zeitgenössische Künstler sich auf jene Wendepunkte der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts beziehen: Dort wo das „Abenteuer der Moderne „ begann.
Der Begriff „moderne Kunst“ schwirrte durch meine Kindheit: Ein ungefährer
Anhaltspunkt, um die künstlerische Arbeit des Vaters einzuordnen.
Seine Bildsprache und die vieler anderer Künstler begleiten mich als unauslöschliche
Eindrücke: Die roten Flecken und schwarzen Zeichen auf einer Miró Lithografie, ein Ohr von Tàpies, geprägt in weiches Büttenpapier; vor allem aber das Bildnis jener Dame, das als Kunstdruck über meinem Kinderstuhl hing: „Jacqueline Roque mit Rosen“ – ein edles Profil auf einem sehr, sehr langen Hals, mit merkwürdig verdrehter und dennoch eleganter
Haltung – Picasso hatte auf diese Art in den 50iger Jahren seine Geliebte gemalt. Solche frühen Seherfahrungen prägen. Man wird sozusagen mit Kunst geimpft und immun gegen Maskeraden und falschen Schein und entwickelt einen „Riecher“ für Integrität und Substanz.